16. Juli 2013

Man muss halt reden mit den Leuten!

Mein Nebenmann zieht mit seiner Steppdecke von dannen.

Sie kennen das Szenario: Man sitzt im Zug, der Platz neben einem ist noch frei, und man hofft bei jedem Stopp, dass sich möglichst keiner dorthin setzt. Bei drei Stopps hatte ich bislang Glück gehabt, war der Platz neben mir leer geblieben. Aber beim vierten Mal … da hatte ich ein ungutes Gefühl. In der wartenden Gruppe auf dem Perron war mir einer von Anfang an aufgefallen So ein Typ Marke ‚verwöhntes Einzelkind’. Um die 30 (!) herum. Die halbe Verwandtschaft stand am Bahnhof, um ihn – wohin auch immer – zu verabschieden. Küsschen links, Küsschen rechts. Umarmung hier und aufmunterndes Schulterklopfen da. ‚Hoffentlich nicht den’, ging’s mir durch den Kopf. Aber genau DER war’s dann.  – Na bravo, dachte ich, das kann ja goldig werden. Wurde es auch. Wobei ich zugeben muss: gut vorbereitet war er. So schleppte er, nebst einem grossen Rucksack auch sein (fast ebenso grosses) Lieblingskissen mit. Ausserdem ein massives Laptop mit allem erdenklichen Zubehör und – als absoluten Heuler – eine Steppdecke in der Dimension eines ausgewachsenen Wohnzimmerteppichs. Kaum hatte er seinen Sitz (eben den neben mir) gefunden, begann er sich zu installieren. Was dazu führte, dass ich wenig später auf meinem Fensterplatz von der Umwelt praktisch abgeschlossen war. Es gab – objektiv betrachtet – kein Durchkommen mehr. Der Typ hatte sich im Nullkommanichts so in seine Überlebens-Steppdecke eingemummelt, dass nur noch die Hälfte des Gesichts und die Ohren zu sehen waren. Sein Laptop hatte er auf dem abklappbaren Tischchen plaziert, eine DVD eingeworfen, die Kopfhörer übergestülpt, und es machte ganz den Anschein, als sei er mit sich und der Welt und der Situation ganz allgemein rundum zufrieden. Was man von mir dagegen nicht behaupten konnte. Ganz und gar nicht.

Zeitsprung – eine gute halbe Stunde später. Noch immer stecke ich auf meinem Fensterplatz fest. Der Film läuft noch, aber der Typ ist unter seiner Steppdecke entweder erstickt oder eingeschlafen. Jedenfalls regt er sich nicht. Und mich drückt die Blase. Eine Strategie muss her. Am besten diejenige der „Tschütteler“, die ist immer gut. Das ist jene, bei der ein Spieler einen andern voll ins Fahrgestell grätscht und ihm anschliessend mit Unschuldsmiene und einem grossen „Sorry“ wieder auf die Beine hilft. Könnte klappen. Angesichts der geringen Distanz zum ‚Feind’ lasse ich das mit dem Grätschen bleiben, bringe dafür aber den Rempler umso subtiler an. Der Erfolg ist durchschlagend: der Typ ist sofort hellwach, akzeptiert mein „Sorry“ verständnisvoll – und schon ist der Durchgang frei. Na also – geht doch. Man muss halt reden mit den Leuten!