24. Juli 2013

Lokomotiven am Haken

Es kommt wohl auch bei einem Frachtschiff nicht jeden Tag vor, dass man sechs ausgewachsene Lokomotiven an Bord nehmen muss. Denke ich. Der 2. Offizier hat für eine solche Aussage nur ein müdes Lächeln übrig. Sie hätten hier schon ganz andere Sachen an Bord gehabt, sagt er.  Einen Teil eines Space-Shuttles zum Beispiel. Eine Riesen-Turbine für ein Kraftwerk in China. Auch schon mal eine Luxusjacht eines reichen Bonzen. Von daher seien diese sechs Loks „a piece of cake“, nicht der Rede wert. Speziell sei lediglich, dass es etwas „tricky“ sei, die Dinger im Bauch des Schiffes, im Frachtraum unter Deck, unterzubringen. Sie kommen also quasi in den Schiffs-Keller – wie sechs gute Flaschen Rotwein. Und wie diffizil das ganze Prozedere ist, sieht man wenig später: mit den zwei grossen Bordkränen (von denen der eine 300 und der andere 600 Tonnen heben kann) werden die Loks von ihren Plattformen gehoben, um 90 Grad gedreht (damit die beiden Kranarme einander nicht touchieren) und dann im Schiffskeller abgesetzt. Drei ganz unten, dann ein Deckel als Zwischenlage, und nochmals drei drauf. Wie man das auch beim Rotwein macht. Was sich so einfach anhört, ist jedoch Präzisionsarbeit im Zusammenspiel aller Beteiligten. Vor allem die Kommunikation zwischen den Kranführern und den „spottern“ (das sind die, die vom Boden aus die entsprechenden Zeichen geben) ist überaus heikel. Nur mal eben dem Kollegen auf dem Nachbarschiff kurz gewunken, und schon knallt die Lok gegen die Bordwand. Naja, ganz so heikel ist es zwar nicht, aber ich bin trotzdem beeindruckt, wie locker die Crew das hinkriegt – wo ich doch ein halbes Heimetli verwettet hätte, dass diese sechs Loks nie und nimmer auf dem Schiff Platz hätten. Aber wer denkt schon an den Keller? Ist ja wie beim Zügeln: an den denkt auch meist keiner. Erst wenn’s heisst: „… und jetzt noch der Keller!“, weiss man, was noch auf einen zukommt. Stellen Sie sich nur mal vor, wie die Leute hier staunen würden, wenn sie – nach einer langen Fahrt – in ihren Heimathafen zurückkommen und plötzlich feststellen, dass sie ‚da unten’ noch sechs Lokomotiven liegen haben… .